Vorwort

 

Bei allen Mängeln – zu denen ich stehe – besteht zur Zeit letztmalig die Chance ein realitätsnahes Bild der Gleidorfer Entwicklung zu zeichnen. Nach mehr als fünfjährigem Sammeln, sehe ich mich in der Lage zu einer Zusammenschau, die ohne zeitaufwendige und nicht kostenfreie Archivierungsarbeit nicht möglich wäre. Allen danke ich, die mich durch Fotos, und Korrekturen unterstützt haben. Den Zeitzeugen danke ich für ihre Hinweise und Erzählungen. Nicht zuletzt gilt mein Dank postum Franz Klanitz, der durch seine Tätigkeit als erster Ortsheimatpfleger des Ortes den Grundstein für alles weitere Forschen gelegt hat.

Leider kann ich es auch dem gewogenen Leser mit diesem Text nicht leicht machen, denn die konkreten Teile der Darstellung bedürfen einer Einordnung in abstraktere Sichtweisen der - in der Gegenwart noch wirksamen - Vergangenheit. So werden manche Textpassagen und Begriffe nicht beim ersten Lesen verständlich sein. Um ein Buch zu verstehen, muss man es mehrfach lesen und auch blättern, vor allem zwischen den Gebäudebeschreibungen vor und nach 1930. Die angegebenen Hausnummern sollten das erleichtern.  Den Genealogen bietet sich die Möglichkeit, der Generationenfolge auch die Wohnstätten zuzuordnen und so dem Skelett mehr Körper zu geben. Aus rechtlichen Gründen benenne ich Personen, die im Zusammenhang mit Gebäuden auf den Fotos zu sehen sind, nicht. Diese Namen, wie auch alle Quellen, habe ich gesammelt. Wenn jemand genauere Auskunft möchte, kann er bei mir nachfragen.

Das Gleidorfer Oberdorf und somit die Straße entlang der Gleier ist Teil von Gleidorf, auf das landläufig der Gemarkungsname „Humeske“ angewandt wird.

Am ehesten stoßen sich Neuzugezogene im Ort am Mythos der Kötten- humeske, weil er in der Umgangssprache negative Assoziationen auslöst. Den Begriff der Kötten als Synonym für Zigeuner anzusehen ist zwar weithin üblich, aber nicht richtig. Zwei Eigenschaften der Gleidorfer könnte man allerdings als zigeunerhaftes Verhalten ansehen: 1. Ihre Herkunft scheint zunächst unklar zu sein; 2. Sie lagerten (wohnten) vor den Toren der Städte, wie es den Zigeunern nach ihrem Auftauchen auf dem Reichsgebiet um 1100 vorgeschrieben war. Dass der Ausdruck „Kötten“ weit darüber hinaus eine sozialgeschichtliche Relevanz hat, hat Peter Bürger in seinem Werk „Fang dir ein Lied an!“ herausgearbeitet. Während aber Peter Bürger im Begriff der Kötten ein regionales Synonym für die Jen(n)ischen sieht, sehe im Begriff der Kötten eine regionale Bezeichnung für alle, die die Landstraße als Lebensraum gänzlich oder nur zeitweise nutzten oder nutzen mußten.

In den etwa 20 Herkunfts- und Bedeutungsaspekten des  Gleidorfer Spitznamens werden tatsächlich die vielfältigen Aspekte der Gleidorfer Geschichte und Eigenarten – in ihren Ausprägungen zusammengefasst – auf die Spitze getrieben und   getroffen.

Man kann den Ort schwerpunktmäßig keiner sozialgeschichtlichen Epoche zuordnen. Die bäuerliche Streusiedlung verlagerte sich nach Schmallenberg und Niederwinkhausen. Die vom Kloster Grafschaft initiierte gewerbliche frühindustrielle Tätigkeit - außerhalb von Stadt und Zunft in drei Hammerwerken – zog Qualifizierte und Tagelöhner an. Dazwischen bildete sich kein generationenübergreifendes Bürgertum mit seinen Attributen wie Bildung, Kultur und Kapital. Aber unter dem Blickwinkel der Sesshaftwerdung und Nachbarschaftsbildung von Menschen unterschiedlichster Herkunft, sollten die Gleidorfer ihre Vergangenheit sehen und begreifen, um die Zukunft zu gewinnen.

Denn gerade die Gleidorfer Siedlungsgeschichte zeigt exemplarisch einen Entwicklungszustand der Seßhaftwerdung zwischen dem Nomadentum und der heutigen Globalisierung. Die Verhältnisse im Schwebezustand zwischen „Herumziehen“ und „sich Ansässig machen“ zeichnet ( erschienen 1892 ) Wolfgang Kirchbach in dem Roman: „Das Leben auf der Walze“. Zwar spielt der recherchierte Roman im Berliner Raum, aber auch der gehörte zu Preußen. Der Zeitraum, der im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht, liegt zwischen dem „Siebenjährigen Krieg“ und dem „Ersten Weltkrieg“ .

An den späteren Bundesstraßen Altenhundem – Winterberg und Gleidorf – Freienohl entstanden im 19. Jahrhundert 4 Gaststätten in enger Nachbarschaft und auf den beiden „Höfen“ (echten Kotten) und auch in Privathäusern wurde den Ankommenden Logis mit Bettstatt geboten, was wohl nicht selten zu einer Einheirat führte. Der Bedeutung des Wortes „Kötten“ in der „jenischen Sprache“ kommt dieses Vorgehen recht nahe. Dem Ideal der Sesshaftigkeit strebten die Zugezogenen auch nach, indem man „Häusler“ (Arbeiter mit notwendiger Nebenerwerbslandwirtschaft) wurde, was für Knechte, Tagelöhner und ehemalige Backhausbewohner bereits sozialen Aufstieg bedeutete. Die weithin von den Gleidorfern in den Kirchenbucheinträgen angegebene Standesbezeichnung „Kötter“ wurde in umliegenden Ortschaften aber wohl als unangemessen angesehen.

Die (Klein-)Gewerblichen Unternehmen, die sich nach 1804 – und verstärkt nach dem Bahnbau 1890 – bildeten, gingen durch die moderne Gewerbekonzentration verloren.

Heimatvertriebene vorwiegend aus Gross-Eichau ( Schlesien ) ergänzten nach 1945 die Bevölkerung.

Von den vergleichsweise wenigen Kindern, die heute „An der Gleier“ aufwachsen, haben mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund – wie man es heute formuliert.

So sind denn – gerade angesichts der aktuellen Situation - die Verantwortlichen aufgerufen die Entwicklung zu einem „Schlafdorf“ positiv zu wenden und der Gefahr des Zerfalls Gleidorfs - zu einer neuzeitlichen sozio-linguistischen Streusiedlung - mit Engagement entgegenzuwirken und dabei die gewachsene kulturelle Identität fortzuentwickeln aber nicht aufs Spiel zu setzen.

 

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